Wie füllt man freie Zeit

Wie füllt man freie Zeit

Der unbezahlte Urlaub neigt sich dem Ende zu. Knapp drei Jahre hatte ich neben den Tieren und dem Haus Zeit für mich. Was habe ich angefangen mit dieser Zeit? Auf diese Frage gibt es Antworten aus verschiedenen Blickwinkeln. Aus Sicht einer protestantischen Arbeitsethik habe ich wenig zum gesellschaftlichen Nutzen oder zumindest zur Mehrung des eigenen Wohlstands beigetragen. Im Gegenteil ich habe einfach von unseren Ersparnissen gelebt und ganz im Gegensatz zu den „Empfehlungen“ der Werbung auf Konsum weitgehend verzichtet und auch nicht für das Leben danach (wann auch immer danach ist) vorgesorgt. Dieser Blickwinkel hat mich über die Jahre begleitet und mir das ein oder andere Mal ein schlechtes Gewissen verschafft.

Versagen aus Sicht der protestantischen Arbeitsmoral

Haselnuss und Ahorn sind in den drei Jahren stark gewachsen

Es ist mir aber in den drei Jahren auch gelungen, diese Haltung des strebsamen Leistungsträgers, mit der mich meine Eltern bewusst und unbewusst geimpft haben, zwischenzeitlich zu bearbeiten und so die ein oder andere Stunde genüsslich in der Sonne sitzend zu verbringen. Aber das war die Ausnahme, wie ich zugeben muss. Um dem oktroyierten Ideal ein wenig zu entsprechen, vor allen Dingen aber weil dies meinem Interesse entspricht, habe ich das Studium der Psychologie angefangen und auch zu Ende geführt.

Geschafft: Studium abgeschlossen, Praxis eröffnet

Auf diese Weise könnte ich bei einer Cocktail-Party, zu der ich nicht eingeladen bin und auch nicht gehen würde, über die Herausforderungen schwadronieren neben Haushalt und Farm die wissenschaftlichen Richtlinien auf Sigmund Freud oder die ausufernden Leistungen in der Gesundheitspsychologie anzuwenden und dabei die statistischen Ergebnisse aus den unzähligen Studien nicht außer Acht zu lassen. Auch der Arbeitgeber dürfte beruhigt sein, dass ich ihm nach der Gewährung der Auszeit ein Bachelor of Science Zertifikat vorlegen kann. Das passt zum vorherrschenden Weltbild und sollte die Wiedereingliederung in den Betrieb erleichtern.

Die Zahl unserer Hühner fluktuierte in den drei Jahren dank Fuchs, Habicht und einem Überschuss an Hähnen; im Moment sind es vier Hennen.

Was ist der Sinn und Zweck des Lebens?

Und dann gibt es da noch meinen eigenen Blickwinkel, der natürlich nicht unbenommen ist von den gerade beschriebenen Sichtweisen. Ich musste erst einmal damit zurechtkommen, dass ich keine „echte“ Aufgabe, keinen gesellschaftlichen Nutzen habe; eine Erfahrung, die leider viele Arbeitslose und Menschen nach dem Renteneintritt machen müssen. Der Beruf definiert uns, stellt die sozialen Kontakte und oft auch den Sinn im Leben. Der einzige, vorzeigbare Zweck meines Daseins bestand darin, mener Frau den Rücken freizuhalten, damit sie ihre Ausbildung zur examinierten Altenpflegerin durchführen kann. Ich denke, ich habe mich dieser Aufgabe würdig erwiesen, aber das reicht noch nicht als Daseinsberechtigung. Ich hätte ein Buch schreiben können, wie es viele Menschen in ähnlichen Situationen tun – auch das hätte durchaus meinen Wünschen und Neigungen entsprochen, aber stat dem Buch ist es eben die Psychologie-Bachelorarbeit geworden mit all ihren Voraussetzungen an Modulen und Seminararbeiten. Außerdem die bestandene Prüfung zum Psychotherapeut nach dem Heilpraktikergesetz und die eben eröffnete Praxis im Wald.

Man gewöhnt sich an alles

Nach ein paar Monaten hatte ich einen Rhythmus gefunden, der entsprechend der Jahreszeiten varierte. Dabei galt es, dem Montag immer besonderes Augenmerk zu schenken. In unserer Zweiteilung des Lebens spielt dieser Tag (als in der Regel) Beginn der Arbeitswoche eine wichtige Rolle. Hatte ich den Montag erst einmal überstanden, konnte der Rest der Woche seiner eigenen, neuen Gesetzmäßigkeit folgen. Was mir fehlte, war der soziale Kontakt, den ich nicht in dem Umfang herstellen konnte und wollte, wie er beiläufig durch die Arbeitswelt entsteht (zumindest vor Corona). Das ist etwas, auf das ich mich nach den drei Jahren uneingeschränkt freue, auch wenn das natürlich nicht bedeutet, dass jedes Wiedersehen oder Zusammentreffen unbedingt ein Genuss sein muss. Aber wer meint, die Gesellschaft von Schafen sei beruhigend und entspannend, der hat noch nie ihr forderndes, anhaltendes Gebähe vernommen, wenn es aus ihrer Sicht an der Zeit für frisches Grün ist.

Fortsetzung folgt…

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