Schlagwort: Arbeit

Zeit für einen Rückblick nach drei Jahren

Zeit für einen Rückblick nach drei Jahren

Das waren sie also, meine drei Jahre unbezahlten Urlaubs auf unserer kleinen Farm. Ich bin um viele Erfahrungen reicher und um die ein oder andere Illusion ärmer. Am 1. August beginnt die berufliche Normalität und es geht zurück in die geregelte Arbeitswelt. Mit einer Position des Koordinators im BR-Studio Deggendorf hätte es mich schlechter treffen können. Aber vier Tage die Woche bin ich erst einmal wieder fremdbestimmt. Ein Wochentag und eventuell das Wochenende bleiben der Praxis im Wald vorbehalten.

Der Warte- und Eingangsraum der Praxis im Wald

Ich hatte auf jeden Fall keine Langeweile in diesen drei Jahren. Das lag sicher auch an meinem Fernstudium, das ich relativ schnell angefangen und mit einem Bachelor der Psychologie im April 2021 abgeschlossen habe. Das lag aber auch an unseren Tieren, die versorgt werden wollten, Heu das eingefahren werden musste, Kartoffeln, Salat und Karotten, die gesät und – vorausgesetzt die Wühlmaus hatte nicht zu großen Hunger – geerntet werden konnten. Die Insel-Solaranlage und die leider nicht so langlebige Batterie (es gibt noch viel zu tun für die Techniker, um geeignete Speichermedien für Extrembelastungen wie in unserem Fall zu entwickeln), die Winterschäden am Dach und der Rückbau der Scheune mit der Möglichkeit, sie als Veranstaltungsort zu nutzen, haben mich ordentlich beschäftigt.

Ohne den Ausgleich der unterschiedlichen Tätigkeiten hätte ich die drei Jahre so nicht überstanden. Es war gut und für mich notwendig, dass es neben der körperlichen Arbeit auch die geistige Herausforderung des Studiums gab. Die Einsamkeit tief im Nationalpark Bayerischer Wald war insofern gut auszuhalten, weil Telefon und Internet (wir haben vor einem halben Jahr sogar einen Glasfaseranschluss bekommen) den Zugang zur Welt gewährleistet haben. Dennoch fehlte der alltägliche Austausch mit KollegInnen und Bekannten, der ein wichtiger Teil des sozialen Lebens ist. Ungerechterweise war das in Zeiten des Corona-Lockdowns auch vielen anderen Menschen nicht vergönnt.

Unsere kleine Farm mit frisch gesägtem Holz
Der rußende Herd im Sommer mit Elektroaufsatz (und Lammsesamhackbällchen sowie Polenta)

Nach diesen drei Jahren ist für mich klar: es macht durchaus Spaß sich körperlich beim Holzhacken zu verausgaben, aber ich muss es nicht unbedingt haben; es ist ein großartiger Genuss, wenn man auf selbstgezogenes Bio-Gemüse direkt aus dem Garten zurückgreifen kann, aber ich weiß, welchen Aufwand das bedeutet und habe nichts dagegen, auch beim Laden um die Ecke einzukuafen; mit Tieren zu arbeiten (ob Hund, Katze, Schaf oder Huhn – jedes Tier hat seine Persönlichkeit) ist ein Privileg, dass ich genossen habe aber nicht die ganze Zeit meines Lebens genießen muss; kleinere Handwerksarbeiten am Haus kann ich mittlerweile selbst erledigen, aber ich muss nicht auf dem Dach herumkraxeln, um Dachpfannen auszutauschen oder jedes zweite Jahr selbst die Wohnküche streichen, weil der Holzherd wieder alles verrusst hat. All das ausprobieren zu können, war allerdings ein wunderbares Geschenk.

Wer traut sich, mich zu streicheln? Haru – Killer-Cat

Wir weden die restlichen sechs Schafe weiterhin über unsere Weiden ziehen lassen, wir werden den verbliebenen drei Hühnern nicht ihre Bewegungsfreiheit nehmen, auch wenn das bedeutet, dass wir am Ende keine Hühner mehr haben, weil der Fuchs und der Habicht nun mal diese Gelegenheit nicht auslassen werden, wir werden Jackson und Haru weiterhin gerne versorgen und mit ihnen die kleine Farm im Nationalpark gerne bewohnen. Aber es ist Zeit für einen Wechsel und etwas mehr technische Unterstützung (der Heu-Wender ist bestellt und keine neuen landwirtschaftlichen Herausforderungen mehr – bitte). Dafür will ich gerne wieder in die BR-Welt eintauchen und die Praxis im Wald für Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetzt etablieren. Ich habe all diese neuen Erfahrungen intensiv erlebt und weiß jetzt besser, was ich will bzw. was ich nicht will. Zu Ersterem gehört auf jeden Fall mit interessierten Menschen an diesem wunderschönen Fleckchen „Bergerau“ über die Stolpersteine des Lebens nachzudenken.

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Wie füllt man freie Zeit

Wie füllt man freie Zeit

Der unbezahlte Urlaub neigt sich dem Ende zu. Knapp drei Jahre hatte ich neben den Tieren und dem Haus Zeit für mich. Was habe ich angefangen mit dieser Zeit? Auf diese Frage gibt es Antworten aus verschiedenen Blickwinkeln. Aus Sicht einer protestantischen Arbeitsethik habe ich wenig zum gesellschaftlichen Nutzen oder zumindest zur Mehrung des eigenen Wohlstands beigetragen. Im Gegenteil ich habe einfach von unseren Ersparnissen gelebt und ganz im Gegensatz zu den „Empfehlungen“ der Werbung auf Konsum weitgehend verzichtet und auch nicht für das Leben danach (wann auch immer danach ist) vorgesorgt. Dieser Blickwinkel hat mich über die Jahre begleitet und mir das ein oder andere Mal ein schlechtes Gewissen verschafft.

Versagen aus Sicht der protestantischen Arbeitsmoral

Haselnuss und Ahorn sind in den drei Jahren stark gewachsen

Es ist mir aber in den drei Jahren auch gelungen, diese Haltung des strebsamen Leistungsträgers, mit der mich meine Eltern bewusst und unbewusst geimpft haben, zwischenzeitlich zu bearbeiten und so die ein oder andere Stunde genüsslich in der Sonne sitzend zu verbringen. Aber das war die Ausnahme, wie ich zugeben muss. Um dem oktroyierten Ideal ein wenig zu entsprechen, vor allen Dingen aber weil dies meinem Interesse entspricht, habe ich das Studium der Psychologie angefangen und auch zu Ende geführt.

Geschafft: Studium abgeschlossen, Praxis eröffnet

Auf diese Weise könnte ich bei einer Cocktail-Party, zu der ich nicht eingeladen bin und auch nicht gehen würde, über die Herausforderungen schwadronieren neben Haushalt und Farm die wissenschaftlichen Richtlinien auf Sigmund Freud oder die ausufernden Leistungen in der Gesundheitspsychologie anzuwenden und dabei die statistischen Ergebnisse aus den unzähligen Studien nicht außer Acht zu lassen. Auch der Arbeitgeber dürfte beruhigt sein, dass ich ihm nach der Gewährung der Auszeit ein Bachelor of Science Zertifikat vorlegen kann. Das passt zum vorherrschenden Weltbild und sollte die Wiedereingliederung in den Betrieb erleichtern.

Die Zahl unserer Hühner fluktuierte in den drei Jahren dank Fuchs, Habicht und einem Überschuss an Hähnen; im Moment sind es vier Hennen.

Was ist der Sinn und Zweck des Lebens?

Und dann gibt es da noch meinen eigenen Blickwinkel, der natürlich nicht unbenommen ist von den gerade beschriebenen Sichtweisen. Ich musste erst einmal damit zurechtkommen, dass ich keine „echte“ Aufgabe, keinen gesellschaftlichen Nutzen habe; eine Erfahrung, die leider viele Arbeitslose und Menschen nach dem Renteneintritt machen müssen. Der Beruf definiert uns, stellt die sozialen Kontakte und oft auch den Sinn im Leben. Der einzige, vorzeigbare Zweck meines Daseins bestand darin, mener Frau den Rücken freizuhalten, damit sie ihre Ausbildung zur examinierten Altenpflegerin durchführen kann. Ich denke, ich habe mich dieser Aufgabe würdig erwiesen, aber das reicht noch nicht als Daseinsberechtigung. Ich hätte ein Buch schreiben können, wie es viele Menschen in ähnlichen Situationen tun – auch das hätte durchaus meinen Wünschen und Neigungen entsprochen, aber stat dem Buch ist es eben die Psychologie-Bachelorarbeit geworden mit all ihren Voraussetzungen an Modulen und Seminararbeiten. Außerdem die bestandene Prüfung zum Psychotherapeut nach dem Heilpraktikergesetz und die eben eröffnete Praxis im Wald.

Man gewöhnt sich an alles

Nach ein paar Monaten hatte ich einen Rhythmus gefunden, der entsprechend der Jahreszeiten varierte. Dabei galt es, dem Montag immer besonderes Augenmerk zu schenken. In unserer Zweiteilung des Lebens spielt dieser Tag (als in der Regel) Beginn der Arbeitswoche eine wichtige Rolle. Hatte ich den Montag erst einmal überstanden, konnte der Rest der Woche seiner eigenen, neuen Gesetzmäßigkeit folgen. Was mir fehlte, war der soziale Kontakt, den ich nicht in dem Umfang herstellen konnte und wollte, wie er beiläufig durch die Arbeitswelt entsteht (zumindest vor Corona). Das ist etwas, auf das ich mich nach den drei Jahren uneingeschränkt freue, auch wenn das natürlich nicht bedeutet, dass jedes Wiedersehen oder Zusammentreffen unbedingt ein Genuss sein muss. Aber wer meint, die Gesellschaft von Schafen sei beruhigend und entspannend, der hat noch nie ihr forderndes, anhaltendes Gebähe vernommen, wenn es aus ihrer Sicht an der Zeit für frisches Grün ist.

Fortsetzung folgt…

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