Keine Übersterblichkeit in Bayern im Jahr 2020
Überschriften sind einseitig. Das ist normal und in Ordnung. Denn die meist zugespitzte These soll zum Weiterlesen animieren. Deshalb kann ich mir für diesen Beitrag genauso gut die folgende Aussage der Pressemitteilung zur Sonderauswertung zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Sterblichkeit in Bayern heraussuchen:
In Relation zum Durchschnitt der Vorjahre (2016 bis 2019) ist über die ersten zehn Monate des Jahres 2020 hinweg im Freistaat insgesamt keine deutlich erhöhte Sterblichkeit festzustellen.
Pressemitteilung des Bayerischen Landesamt für Statistik vom 29.3.2021
Die meisten Medien folgten der Lesart des bayerischen Innenministers, der zusammen mit dem Chef des Landesamts für Statistik die Studie vorstellte und sich auf die Monate mit hohem Infektionsgeschehen konzentrierte. Hier gibt es nämlich eine deutliche Übersterblichkeit. Viele Medien titelten entsprechend dieser Lesart: Signifikante Übersterblichkeit im Freistaat. Als Minister ist diese Fokussierung nachvollziehbar. Denn er ist Mitglied der Regierung und muss die offizielle Linie verteidigen. Dazu passen die Zahlen der erhöhten Übersterblichkeit in den Monaten mit hohen Infektionsgeschehen einfach besser. Aber in den Medien sollten aus meiner Sicht alle Aspekte berücksichtigt werden.
Ich möchte die Gefahr durch Covid19 keineswegs kleinreden. SARS-CoV hat viele Menschen getötet und darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Nach über einem Jahr der mehr oder weniger erfolgreichen Pandemie-Bekämpfung ist es aber an der Zeit innezuhalten und über neue Wege des Umgangs mit dem Virus nachzudenken. Denn wir werden mit dieser Bedrohung noch lange leben müssen.
Die Zahlen und Daten des bayerischen Landesamts für Statistik sind für eine Strategie-Bestimmung hilfreich, wenn sie auch nicht leicht zu interpretieren sind. Und das sage ich nicht nur, weil ich mich in meinem Psychologiestudium mit vielen Studien und der dazugehörigen Statistik beschäftigen durfte. Das Thema der Übersterblichkeit ist extrem komplex, weil hier viele Faktoren eine Rolle spielen. Da ist zum einen die höhere Lebenserwartung und unterschiedliche Geburtenraten in Deutschland, die bei den aktuellen Zahlen berücksichtigt werden müssen. Hinzu kommen die zahlreichen Gründe für eine Abnahme oder Zunahme der Todesfälle. Die Grippe hat im Jahr 2020 wegen der Hygienemaßnahmen im Kampf gegen Corona kaum Menschen infiziert und dementsprechend für eine Abnahme der Todeszahlen auf Grund von Influenza gesorgt. Da während der typischen Grippemonate auch Covid19 eingedämmt werden konnte, liegt die Sterblichkeit in dieser Zeit sogar unter dem Durchschnitt.
Ob der Rückgang der Sterbefälle allein an den geringeren Grippetoten oder an den zurückgegangenen Verkehrsunfällen in Zeiten des Lockdowns liegt, lässt sich allein aus dem aktuellen Bericht des Bayerischen Landesamts für Statistik nicht herauslesen. Auch die Selbstmordrate und z.B. die Höhe der Berufsunfälle mit Todesfolge müsste dafür berücksichtigt werden. Wie gesagt: die Frage der Übersterblichkeit hängt von vielen Faktoren ab. Die Sonderauswertung zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Sterblichkeit in Bayern legt aber nahe, dass die Übersterblichkeit in 2020 vor allem die ältere Generation getroffen hat. Bei den Menschen zwischen 0 und 59 Jahren ist in keinem der Monate von Januar 2020 bis Februar 2021 eine Veränderung der Anzahl der Todesfälle abzulesen. Das wäre vielleicht ein Ansatz für eine neue Strategie im Umgang mit Covid19.