Reisen trotz Corona
Meine Einstellung zum Thema „Reisen“ war bis zum Frühjahr dieses Jahres ambivalent. Nach der vorübergehenden Schließung der Grenzen (zum zweiten Mal nach der sogenannten Flüchtlingskrise) kann ich aber das Reisen über Grenzen hinweg uneingeschränkt begrüßen, auch wenn die Mobilität zur Umweltverschmutzung beiträgt. Es ist gerade innerhalb Europas so wichtig zu erleben, dass die oft zufällig und von Männern gemachten Grenzen nichts Unüberwindliches haben, dass das Leben auf der anderen Seite genauso schön oder noch schöner sein kann, dass egal in welcher Sprache jemand spricht, wir alle Menschen sind, und dass der Wunsch, einem Lebensgefühl nachzugehen, Energie und Zuversicht freisetzen kann.
Die Cinque Terre sind dafür ein gutes Beispiel. Vielleicht wegen der Corona-Krise sind es vor allem jüngere Menschen, die es dorthin zieht: Italiener ebenso wie Deutsche, Schweizer, Franzosen, Holländer, Dänen und Engländer. Sie alle wollen die Küstenlinie und die pittoresken Dörfer erkunden, im Meer schwimmen und die Wärme genießen. Die Internationaliät ist akzeptiert, gewollt und durch den wirtschaftlichen Nutzen auch sehr willkommen. Welchen Schaden das Corona-Virus angerichtet hat bei den Menschen, die in nahen oder fernen Ländern vom Tourismus leben, werden wir erst in ein paar Monaten in seinem ganzen Ausmaß feststellen können. Angesichts der kargen Monate kann man sich als Tourist im Moment an einer großen Zuvorkommenheit erfreuen – so erging es mir zumindest in La Spezia und den Cinque Terre.
Von Levanto nach Monterosso Sentiero Azzurro Höhenweg Höhenweg Corniglia Blick auf Corniglia Badebucht in Corniglia Höhenweg mit Blick auf Manarola Hafen von Portovenere Bahnlinie der Cinque Terre
Den Norden Italiens hat die Covid-19-Pandemie den veröffentlichten Zahlen zufolge am schlimmsten getroffen. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Statistiken aber immer nur einen Teil abbilden und die Einzelschicksale komplett außer Acht lassen. Angeblich sind viel mehr Menschen mit dem Virus in Berührung gekommen, ohne Symptome zu zeigen, als angenommen. Das würde die hohen Todeszahlen ebenfalls relativieren. In La Spezia gehören die Masken auch ein halbes Jahr danach noch immer zum Alltag. Aber man kann wieder einen Espresso trinken, am Strand liegen, im Restaurant essen oder am Hafen entlang bummeln. Dieses Lebensgeühl ist nicht nur für die Touristen anziehend sondern für die Einheimischen essentiell. Das quirrlige Gewusel setzt Energie frei, die zur Lebensfreude und Zuversicht der jungen Menschen beiträgt, die sich für ihre Reise genau dieses Ziel ausgesucht haben.
Kreuzfahrtschiff in La Spezia
Ehrlicherweise muss man sagen, dass es mir in La Spezia und den Cinque Terre auch deshalb so gut gefallen hat, weil es zwar voll aber im Vergleich zu normalen Sommermonaten verhältnismäßig angenehm war, was die Touristendichte angeht. Die Kreuzfahrtschiffe sind noch in Zwangspause und so dümpelte lediglich ein allein von der Besatzung bevölkertes Schiff im Hafen anstatt der vielen Dampfer, die sonst für einen Tag ihre Heerscharen in die Innenstadt einfallen lassen. Viele Einwohner haben sich aber auf diese Kundschaft eingestellt und leben davon. In diesen Sommermonaten blieben viele Lokale deshalb halbleer trotz der jungen Besucher. Immerhin konnten so die geforderten Abstandregeln eingehalten werden.
Noch ein paar Gedanken zum Sars-CoV-2, das bekanntlich vor keinen Grenzen Halt macht und offensichtlich auch die geschlossenen Grenzen einer Insel wie Neuseeland im gekühlten Laderaum überwinden kann. Vielleicht wäre es an der Zeit, etwas mehr Gelassenheit im Umgang mit diesem Virus an den Tag zu legen.
Covid-19 ist nicht die Pest
Covid-19 mag bei manchen Menschen schlimmer verlaufen als eine Grippe, hat zum Glück aber nicht die Pandemie-Qualitäten wie die Pest. Die Fortschritte bei der Herstellung eines Impfstoffes sind deutlich (ob man Russland mit seiner Sputnik-2-Ankündigung nun glauben mag oder nicht) und unser Gesundheitssystem ist fern vom Zusammenbrechen. Schwieriger ist, dass trotz der versprochenen Testkapazitäten viele Menschen noch immer lange auf ihr Testergebnis warten müssen und damit wertvolle Zeit verloren geht, wenn es um die Verfolgung des Übetragungsweges geht. Auch die Gesundheitsämter haben längst nicht die personellen Kapapzitäten zur Verfügung, die nötig wären, um die vollmundigen Ankündigungen der Politik im wirklichen Leben umsetzen zu können.
Vollmundige Ankündigungen der Politik
Ganz zu schweigen von den sogenannten System-relevanten Personen an der Kasse oder in der Pflege, die weder Lohnerhöhungen noch sicherere Arbeitsplätze noch gesellschaftliche Anerkennung erfahren, nachdem die erste Welle abgeebbt ist. Auch hier hat die Politik zwar eine Menge Maßnahmen in Aussicht und sicher auch einige Regeln auf-gestellt, die in der Praxis aber kaum Wirkung zeigen. Die Schere in der Gesellschaft zwischen arm und reich geht weiter auseinander. Schlimmer noch: die Kluft zwischen den politischen Korrektheitsvorstellung, die sich zum Teil im Gesetzgebungsprozess niederschlagen, und der Lebenswirklichkeit der Menschen wird immer tiefer.