In memoriam
Mäh, Kikerki, Bäh schallt es über die Berger-Au, während die Sonne erste Boten ihres Kommens über die Bergrücken schickt. Das Leben geht weiter. Von der Kleinen Ohe bis zu unserem Haus liegt ein weißer Nebel-Vorhang. Normalerweise ist es nur der Hahn, der in regelmäßigen Abständen kräht, bis sich seine Hühnerschar von der Stange auf den Boden begeben hat, um ihre Lieblingsbeschäftigung aufzunehmen: Picken und Scharren, Scharren und Picken.
Marple und Elb heben immer wieder den Kopf beim Grasen und erinnern mit ihren Rufen daran, dass einer fehlt. Für Maggy war es gestern die letzte Vorstellung. Das Mutterschaf hat sich von seiner Lungenentzündung nicht mehr richtig erholt. Zu wenig Kraft, zu wenig widerstandsfähig lag es gestern Nachmittag auf der Seite, konnte nicht mehr aufstehen und der Blick durch die nur mehr halb-geöffneten Augenlider machte deutlich, dass es jetzt wirklich zu Ende geht. Ihre beiden, einjährigen Lämmer Marple und Elb hatten deutlich gespürt, dass etwas nicht stimmt und mich mit ihren Rufen in den Stall geholt. Ein Schaf auf der Seite, der Kopf langestreckt im Heu liegend, während die Klauen leicht zucken, ist ein erbarmungswürdiger Anblick. Das Streicheln über Nüstern und Stirn, leises Zureden konnten das Zittern zwar etwas beruhigen, aber mehr auch nicht.
Wie es der Zufall wollte, ist unser Tierarzt, der Maggy schon zweimal kurzzeitig wieder auf die Beine brachte, im Urlaub. Nüchtern und realistisch teilte er uns damals jedoch mit, dass sie wohl kaum die nasskalte Jahreszeit überstehen wird. Seine vertretende Kollegin hat ihr Bein geschient und konnte deshalb nicht kommen.Telefonate, ablenkende Arbeit und dazwischen immer wieder der Gang in den Stall, ob Maggy bereits erlöst ist. Zureden, Streicheln und hilfloses Weggehen meinerseits. Silke organisierte dann einen Tierarzt aus Freyung, der am Abend unserem „Sorgenschaf“ ein Einschlafen ermöglichte.
Nur zwei Monate war sie Teil unserer, kleinen Herde am Wailderhaus und hat uns viel zu schnell beigebracht, was das Halten von Schafen so alles mit sich bringt. Jetzt liegt ihr toter Körper provisorisch unter einer Plane begraben, bis am Montag der Entsorgungsdienst für Tierkadaver vorbeikommen kann.
Auf meinem Weg zurück vom morgendlichen Hunde-Spaziergang den Hügel hinab von St. Oswald schallen mir die Rufe der beiden Übriggebliebenen durch den Nebel entgegen. Ich weiß, ich kann nichts machen. Die Zeit wird auch bei den beide Schafen dafür sorgen, dass ein unbeschwertes Grasen wieder möglich sein wird. Und wir werden ungeachtet oder gerade wegen des traurigen Verlustes sicher in Kürze die Herde aufstocken. Aber das Mäh und Bäh treibt mir trotzdem Tränen in die Augen. Das Leben geht weiter.