So etwas wie Normalität
Normalität – ein gewagtes Wort angesichts unserer Unerfahrenheit in Sachen Landwirtschaft. Aber nachdem sich kein Lamm in den letzten drei Wochen mehr im Zaun verfangen hat, die Hühnerschar (mit Ausnahme von Humpelhuhn) eskortiert von Arnie entspannt ihre Runden ums Haus drehen und der Salat, die Erbsen, Tomaten, Radieschen, Wilde Rauke, Garten Melde und sogar der Kohlrabi wachsen, schleicht sich das Gefühl ein, dass die Dinge hier in der Bergerau ihren Lauf nehmen.
Allerdings lässt derzeit die Eierproduktion etwas zu wünschen übrig, aber dazu später mehr. Was mich immer wieder überrascht, ist die zeitliche Dimension, mit der wir uns hier auseinandersetzen müssen. Unsere schnelllebige Gesellschaft mit all ihren Möglichkeiten hat mich so konditioniert, dass nur wenig Bestand hat, auf diese Weise aber auch rasch etwas ausprobiert und wieder verworfen werden kann. Wenn es um Pflanzen und Tiere geht, bestimmt noch immer die Natur den Rhythmus, und der ist langsamer, oft sogar auf ein Jahr ausgelegt.
Unser Bergahorn – gepflanzt um den Anblick der überdimensionierten Brücke etwas zu verdecken – wächst in diesem Jahr kaum. Es macht aber keinen Sinn, schon jetzt Äste abzuschneiden oder den Baum gar aufzugeben. Wir müssen warten und uns im nächsten Jahr überraschen lassen, welche der auch in diesem Jahr zuerst reichlichen Knospen sich am Ende wirklich zu den großen ahornförmigen Blättern entwickeln.
Das gilt auch für unseren Apfelbaum, den die Wühlmaus im vorletzten Winter angeknabbert hatte und dadurch im letzten Jahr bald seine Blätter verlor. Wir haben ihn in der Erde gelassen und in diesem Jahr sieht es so aus, als ob er eine Chance hätte, sich in den nächsten Jahren doch noch weiterzuentwickeln. Die Pflaume jedoch wollte nicht Wurzeln schlagen und so haben wir sie gegen einen Kirschbaum eingetauscht, der allerdings auch schon wieder all seine Blätter verloren hat. Abwarten, heißt jetzt die Devise.
Ob es sich ausgezahlt hat, den Holler-Busch von seinen trockenen Ästen zu befreien, werden wir auch erst in ein paar Jahren sehen. Angesichts seiner vermoosten Äste hat er wohl für einen Hollunder schon ein biblisches Alter erreicht und es wäre schön, wenn er noch ein paar Jahre durchhalten würde, denn auf den Anblick wollen wir nur ungern verzichten und die Hühner halten sich in dem aus unserer Sicht etwas kargen Schatten ausgesprochen gerne auf.
Wie das immer so ist mit der Normalität. Sie verführt einen, sich weitere Gedanken zu machen, Pläne zu schmieden. Und so haben wir uns schon wieder auf ein Projekt eingelassen. Nachdem die Anschaffung der Hühner zuerst vor allem mein Wunsch war, hat sich Silke mit ihnen so sehr angefreundet, dass sie gerne mehr ums Haus wandern sehen möchte. Zitat Silke, frei nach Loriot: „Ein Leben ohne Hühner ist möglich, aber sinnlos.“ Brüten scheint nicht die Spezialität der Australorps zu sein. Also haben wir uns eine Brutmaschine zugelegt. Seit gut einer Woche steht sie gefüllt mit zwölf Eiern im Arbeitszimmer, hält schnarrend die Temperatur bei exakt 37,7 Grad und wendet die Eier automatisch alle paar Stunden von rechts nach links. Wir müssen zweimal am Tag Wasser nachfüllen, um auch die entsprechende Feuchtigkeit zu gewährleisten und wieder mal Geduld aufbringen, bis rund um den 24. Juni vielleicht das ein oder andere Kücken schlüpft. Heute Abend werden wir mit der geliehenen Lampe von Martina wahrscheinlich doch die Eier schieren, um zu sehen, was sich so tut. Geduld ist ja bekanntlich unsere Stärke nicht.
Sollte es etwas werden und Kücken schlüpfen, so ist der ehemalige Brösel-Stall vorbereitet. Firma Wegerbauer hat aus dem baufälligen Raum einen wunderbaren Stall geschaffen, der jetzt darauf wartet, mit Leben gefüllt zu werden. Die elektrischen Leitungen habe ich selbst verlegt (nachdem ich zuerst das entsprechende Buch studiert hatte) und dabei – wie so oft – nicht die Geduld aufgebracht, um die Kabel rechtwinklig und ordentlich zu verlegen. Aber sie halten und an jeder Wand ist eine Kombination aus Steckdose und Schalter, der jeweils eine Lampe zum Leuchten bringt. Was will ich mehr…
Hier kann dann die Wärmelampe angesteckt und das vorübergehende Zuhause der Kücken entsprechend aufgeheizt werden. Irgendwann muss in den Stall aber auch noch ein größeres Tier. Aber das ist definitiv kein Projekt mehr für dieses Jahr.
Es bleibt ohnehin, viel zu tun, was vor allem für uns Landwirt-Neulinge gilt. Die Schafe haben seit heute morgen ihre Weide wieder direkt vor unserem Haus, und es ist echt nett, die lebenden Rasenmäher bei ihrer Arbeit zu beobachten.
Wenn die Sonne herauskommt bzw. wenn die Bäuche so dick sind, dass nur eine Runde Wiederkäuen Abhilfe schaffen kann, ziehen sie sich zurück in ihren Unterstand und machen Pause. Danach geht es wieder im gemeinsamen Galopp zurück zum frischen Grün. Wenn die Halme und Blumen abgemäääht sind, gibt es noch ein Stück am Waldrand, ehe wir die Schafe wieder auf die Wiese direkt an der Kleinen Ohe bringen wollen und der Kreislauf somit von Vorne beginnt. Die Zusammensetzung der Weiden ist sehr unterschiedlich, und so hoffen wir dass die Schafe eine möglichst ausgewogene Kost erhalten. Das Waldschaf ist ja an sich ein sehr genügsames Tier.
Das Jakobs-Greiskraut wird übrigens fleißig ausgerissen, wenn wir es auf den Weideflächen entdecken. Welche Gefahr diese Pflanze für Tiere bedeutet, haben wir uns anlesen müssen; wie so vieles, seitdem wir das angenehme Stadtleben gegen die Herausforderungen auf dem Land eingetauscht haben. Aber noch macht es uns Spaß – vor allem die Bastelei am und im Haus.
Silke hat sich in den letzten Tagen am Schreinern versucht.
Hanabi schaut uns angesichts ihres Alters gelassen zu. Sie braucht sich nicht mehr über die Schafe, Hühner oder den Fuchs aufzuregen, der regelmäßig vorbeischaut, ob nicht doch ein Huhn abzugreifen ist. Sie genießt ihren Altersruhesitz, und wir können es uns nicht verkneifen, hin und wieder ein wenig über Stränge zu schlagen.